Carl Vogt, Ocean und Mittelmeer, Frankfurt 1848, aus Bd.2, S.112-131

Nizza, den 1. Februar 1847

 

Mein lieber Rahl!

Endlich sind wir so weit, daß ich Dir unsere Ankunft zu dem Carneval melden kann. Dein Manfred, dessen Lob uns schon die hiesigen Zeitungen brachten, wird wohl die Gastfreundschaft des Ausstellungslocales an der Porta del popolo noch so lange in Anspruch nehmen können, bis wir ihn mit eigenen Augen bewundert haben. Ich freue mich um so mehr darauf, als ich die kleine Skizze, die Du in Paris eines Tages zusammenpinseltest, noch lebhaft im Gedächtniß habe, und als Embryologe ungemein gespannt bin, zu sehen, in welcher Weise das neugeborene Kindlein sich zum Manne entfaltet hat.
Wir haben unterdessen grauenhafte Pläne geschmiedet, die darauf hinauslaufen, der ganzen bisherigen Malerei eine neue Seite abzugewinnen. Dichtung und Naturforschung, in uns Beiden repräsentirt, haben den Plan zu einem Gemälde entworfen, das eine neue Epoche in der Kunst bezeichnen wird, wenn die Talente des Malers in dem Kleeblatte nicht fehlten. So aber müssen wir uns darauf beschränken, Dir einstweilen eine Beschreibung à la Passavant des beabsichtigten Gemäldes zu geben, da es ja überhaupt jetzt nothwendig ist, zum Verständnisse der Gemälde nazarenischer und anderer Kunstschulen große Abhandlungen zu schreiben. Nazarenisch aber soll das Bild werden, deß kannst Du versichert sein, und Beziehungen sollen sich darin sinden, noch weit feiner, als die Tropfen des Overbeckischen Wassers, womit die verschiedenen Künste und Wissenschaften in ihr wahres Verhältniß zu der Religion gesetzt werden.

Ueber die Tendenz des Bildes (denn Tendenz muß es haben) haben wir freilich noch nicht völlig einig werden können. Wir sind zwar der Ansicht gewesen, daß es nothwendig sei. neue Stoffe in die Malerei einzuführen, und der sogenannten Historienmalerei einen naturwissenschaftlichen Grund unterzuschieben. Die Historienmaler haben bis jetzt nur eine sehr geringe Auswahl von Geschöpfen gehabt; — Menschen, Pferde und Hunde bilden das ganze Magazin des profanen Zweiges derselben und nur die Heiligenmaler können sich des Vorzugs rühmen, noch einige andere fabelhafte Figuren zur besseren Ausstaffirung ihrer Schildereien erfunden zu haben. Ich rede hier nicht von den entsetzlich langen Händen, den linienartig geschnittenen Augen und den platten Busen, welche der Malerei nothwendig den Stempel der Frömmigkeit aufdrücken. Es gehört zu diesem Mobiliar auch noch die Sammlung von Engeln, Cherubim, Seraphim und anderen ideellen Wesen, die gegen alle Principien der vergleichenden Anatomie zusammengewürfelt sind. Daß die Flügel nur Modificationen der Arme sind, scheint unseren Nazarenern vollkommen unbekannt, sie malen frisch daraus los menschliche Wesen, die zwei Paar Arme haben, ein Paar wirkliche, und ein Paar modificirte, nämlich Flügel, und glauben dadurch, daß sie den bestimmtesten Gesetzen der Natur ein Auge ausschlagen, der Frömmigkeit einen bedeutenden Vorschub geleistet zu haben. Und nun gar diese Köpfe, die mit zwei Flügeln leben sollen! Sprechen diese nicht der ganzen Natur, Allem, was wir von der Structur des thierischen Wesens wissen, den offenbarsten Hohn? Lesen denn diese Unglücklichen den Göthe nicht und beherzigen sie nicht den schönen Vers:

Und wenn er keinen Hintern hat
Wie kann der Edle sitzen?

Bewahre! Alles dieses rührt unsere Nazarener nicht im Geringsten, sie fahren fort, die Mißgeburten einer verschrobenen Phantasie auf die Leinwand zu klecksen und prätendiren, daß wir bei deren Anblick gerührt sein sollen.
Deßhalb beschließen wir, in unserem Tendenzbilde nicht vorneherein unsere naturwissenschaftlich gebildete Zeit zu beleidigen, und uns streng an die Natur selbst zu halten. Das Material, aus dem wir da zu wählen haben, liegt in Masse vor uns. Wir können Thiere mit sechs, acht, zehn und mehr Beinen, mit hundert Augen uns auslesen und auf diese Weise die einzelnen in die Handlung verwickelten Personen so innig mit einander verketten, wie es einem Historienmaler nie gelingen mag, dem nur zwei Augen, zwei Arme, und im Nothfalle zwei Beine zu Gebote stehen.

Da ferner unsere Zeit ebensowenig den Beruf zur Gesetzgebung (nach Herrn v. Savigny) als denjenigen zur Erfindung neuer Compositionen (nach Overbeck) besitzt, so haben wir beschlossen, uns auch hierin der allgemeinen Ueberzeugung zu fügen, und eine anerkannt tüchtige Composition zum Muster zu wählen. Die Anordnung, welche Raphaels Transfiguration zeigt, scheint uns in der That die passendste, indem sie zugleich die Verehrung ausdrückt, welche wir diesem, obgleich von dem richtigen Wege abgewichenen Genius der Malerei, zollen. Freilich wäre es zweckmäßig gewesen, vielleicht einem älteren Maler, Fiesole oder einem noch früheren sich anzuschließen, der die ursprüngliche Reinheit des altchristlichen Typus unverfälscht bewahrt hat, allein der Geschmack unserer Zeit ist leider so sehr durch dramatische Effecte verzogen und verbildet, daß man seine Heilung nur durch allmählige Ueberführung, nicht aber durch plötzlichen grellen Sprung erwarten kann. So dürfte es denn auch unzweckmäßig erscheinen, in dem ersten naturwissenschaftlichen Tendenzbilde jene starre Trockenheit nachzuahmen, welche unser verwöhnter Gaumen in älteren Gemälden zu finden wähnt.

Das Bild soll den Gegensatz ausdrücken, der in der Natur zwischen höheren, durchsichtigen, ätherischen Gebilden und niederen Geschöpfen sich bemerklich macht. Aus dem Lichte strömt die Klarheit, und dieser von Oben herabkommenden Klarheit hebt sich die Schöpfung entgegen, die nach dem Ausdrucke der Naturphilosophen von dem fetten Erdkerne nach dem Lichte emporstrebt, Deßhalb beabsichtigen wir in die obere Partie des Bildes eine Art von Dreieinigkeit zu setzen, die in concret existirender Form zugleich die Beziehungen ausdrücken soll, durch welche die Meeresbewohner nach der lichten Oberfläche hinangezogen werden. Wie nun ferner der fromme Gedanke stets durch seine Klarheit und Durchsichtigkeit sich vortheilhaft auszeichnet vor allen übrigen Ideeen, die aus dem Schlamme des Materialismus auftauchen, so erschien es auch nothwendig, zur plastischen Anschauung dieses Gedankens Thiere zu wählen, die durch höchste Durchsichtigkeit vor den übrigen voranstehen. In der Mitte soll deßhalb eine Qualle und zwar eine der größten Quallen, ein gewaltiges Rhizostom schweben. Durch die glockenförmige Gestalt, welche die Scheibe dieses Thieres besitzt, ist zugleich eine Andeutung gegeben auf den frommen Sinn, als dessen tönendes Zeichen eben die Glocke betrachtet werden kann. Auch deßhalb wurde das Rhizostom gewählt, weil die himmelblauen Lappen seines Randes durch ihre eigenthümliche Farbe eine gewisse Sehnsucht nach Oben andeuten; während seine unten etwas gelappten Fangarme daran erinnern könnten, daß sich sein Stiel mit Gewalt von dem sündhaften Boden abgerissen habe, und dem Zuge nach oben gewichen sei.

Die meisten der übrigen Quallen erscheinen als gefräßige Thiere, deren weites Maul stets offen steht; — das Rhizostom hingegen läßt durch die vielen engen Kanäle, welche seine Fangarme durchziehen, nur höchst verfeinerten Nahrungsstoff in sein Inneres eindringen, eine Eigenschaft, welche ebenfalls zu seiner Wahl nothwendig beitragen mußte. Da indeß ferner die Frömmigkeit ohne äußeres Symbol in einer darstellenden Kunst nicht möglich ist, und nach der Meinung der Theologen der Glaube nur dann wirklich existirt, wenn er sich durch eine Gemeinschaft der Gläubigen, durch eine Kirche mit Symbolen als Aeußerliches hinstellt, so mußte auch die Kirche im Allgemeinen durch das Rhizostom repräsentirt werden. Es scheint in der That, als hätte die Wahl nicht sinniger getroffen werden können, denn alle einzelne Nahrungskanäle des Thieres fließen in einen großen Magen zusammen, seine ganze Masse ist glasartig uttd durchsichtig und bei diesem scheinbar unschuldigen Aeußeren ist dennoch seine Oberhaut mit nesselnden Spitzen bewaffnet, welche demjenigen, der es berührt, juckende Flecken zurücklassen.

Von dem Rhizostom soll alles Licht ausgehen, welches das Gemälde überstrahlt. Allein die vielseitige Entfaltung, deren unsere Grundidee fähig ist, konnte nicht in einem einzigen Repräsentanten zur vollständigen Anschauung gebracht werden. Deßhalb wurden denn in pyramidalisch schöner Gruppirung zu beiden Seiten noch zwei Gestalten angebracht, welche ebenfalls höherer Vollendung zustrebend sich im höchsten Glanze des Rhizostoms spiegeln. Links eine einsame Firola. Die dunkelbraunen Augen nach Oben gerichtet, schwebt sie mit eingezogenem Rüssel dem Ziele entgegen. Dieser Rüssel, der stets umher wühlt, der eine stacheliche Zunge in sich gewunden birgt, welche auf die Beute hervorgeschnellt werden kann, läßt er nicht eine Menge von Beziehungen entdecken, deren Ergründung wir dem aufmerksamen Beschauer füglich überlassen mögen?

Auf der anderen Seite schwebt eine Stephanomie. Das Thier mit seinen hundert Mäulern, die beständig nach allen Seiten hin angeln, mit seinem contractilen Stiele, der bei der winzigsten Berührung zusammenschnurrt, um sich später zu fabelhafter Länge auszudehnen, mit der großen Anzahl von Schwimmglocken, welche in beständiger Bewegung sind, ist es nicht das schönste Emblem des Socialismus in der alten Kirche, der an gemeinsamen Faden so viele fressende Mäuler befestigt hatte und in den Klöstern Tag und Nacht die Betglocke zog? Du siehst, daß somit auch die einzelnen Richtungen des kirchlichen Lebens in vollständiger Weise angedeutet sind, indem die Firola das einsiedlerische, die Stephanomie hingegen das sociale Element des Mönchsglaubens repräsentirt.

Unter dieser im freien Wasser schwebenden Dreieinheitsgruppe soll man in unserem Gemälde den felsigen Meeresgrund entdecken, der dieselbe Gestalt annehmen kann, wie der Berg Tabor in der raphaelischen Tramsfiguration. Auf der oberen Fläche desselben fallen uns vor allen Dingen drei Gestalten in die Augen, welche dieselbe mystische Drei wiederholen, die schon in der obersten Gruppe benutzt worden war, und die sich auch im Vordergrunde noch einmal wiederholen soll. Ist ja doch gerade das Zahlverhältniß, ob zwar wenig gekannt doch höchst wichtig in der ganzen Natur und gerade die Drei eine der Zahlen, welche von wesentlichster Bedeutung erscheinen. Die Gruppe also, welche auf der Fläche des Berges Tabor den erwachenden Aposteln ähnlich sich zum Lichte emporhebt, besteht aus einigen Arten, welche alle zur Familie der Holothurien gehören. Du kennst den Namen, welchen die italiänischen Fischer diesen Thieren geben, und den man wohl in italiänischer, nicht aber in deutscher Gesellschaft aussprechen darf. Um die Fruchtbarkeit in der Natur auszudrücken und plastisch darzustellen, bedurften die Alten des Phallus. Ein ähnlicher Gedanke sollte hier ausgedrückt werden, wo es darum galt, die unerschöpfliche Fruchtbarkeit des thierischen Lebens auf dem Meeresgrunde in das Gedächtniß zurückzurufen, Sie haben freilich keine schönen Gestalten, diese Symbole thierischer Fruchtbarkeit, allein auch die Diana von Ephesus war kein Ideal weiblicher Schönheit, und wurde dennoch weithin in alle Lande verehrt.

Zeigt sich in der Mitte das Symbol, so tritt uns auf beiden Seiten das Resultat dieser thierischen Fruchtbarkeit entgegen. Denn was die Vereinigung Großes erschaffen kann, zeigen uns die Korallenthiere und Polypen, kleine winzige Thierchen, unscheinbaren Gallertklümpchen gleich, die mit rastlosem Eifer aus der Vereinigung von Millionen von Individuen jene gewaltigen Riffe hervorgehen lassen, an welchen die künstlichen Schiffe der Menschen wie an Felsen zerschellen. Die Kolonieen dieser Thierchen haben Berge geschaffen, Thäler ausgefüllt und auf die Beschaffenheit der Erdoberfläche den größten Einfluß ausgeübt, der Mensch aber trotz aller seiner Riesenwerke, trotz aller seiner Anstrengungen hat noch nicht soviel erreichen können, als diese unscheinbaren Wesen, deren er Tausende mit dem Tritte seines Fußes zermalmen kann. Deßhalb sollen auch auf unserem Gemälde einige Korallenstücke ganz oben auf den Berg Tabor gepflanzt werden, nur um dadurch anzudeuten, welch große Resultate durch eine zweckmäßige sociale Vereinigung erzielt werden können, besonders wenn dieselbe, wie hier, von dem Lichte der Frömmigkeit bestrahlt wird.

In dem Vordergrunde soll das Auge zuerst angezogen werden durch eine Gruppe von drei Personen, welche der Lichterscheinung im oberen Theile des Gemäldes ihre ungetheilte Aufmerksamkeit zuwenden. Wir glaubten anfangs auch hier vollständig die raphaelische Disposition der Transfiguration beibehalten zu können, allein bei näherer Betrachtung des Planes mußten noch mehrfache Figuren hinzugefügt werden, um die Räume vollständiger zu füllen. Die großen Faltengewänder, mit welchen Raphael seine Figuren umhüllt hat, geben denselben etwas Massenhaftes und dadurch schon Imponirendes; da aber die Meerthiere höchst unanständiger Weise alle nackt gehen, so mußte der Magerkeit der Composition durch eine Vermehrung der handelnden Individuen einigermaßen abgeholfen werden. So ist denn die mittlere Gruppe aus drei Krebsarten zusammengesetzt, welche sich in begeistertem Schwunge auf ihren Schwänzen in die Höhe richten und mit ihren langgestielten Augen das Rhizostom anstaunen. Einerseits ein ächter Langschwänzer mit breiten blattartigen Fühlern und gewaltigen Krallenfüßen, ein Scyllarus, den wir längere Zeit in Nizza als Hausthier auf dem Stubenboden herumkriechen ließen. Es war ein recht interessanter Kerl, der wahrscheinlich bei einer verliebten Abendpromenade mit seiner Frau Gemahlin zugleich in das Netz gerathen war, und sein Mißbehagen, sich auf trockenen Teppiche zu befinden, durch lebhaftes Klatschen mit dem Schwanze zu erkennen gab. Die kleinen amethystblauen Fühlhörner, welche vornen an seinem Kopfe standen, trug er meistens nachlässig vor dem Maule herabgekrümmt, und mit seinen Kaufüßen schien er sich beständig in einiger Verlegenheit zu befinden, was vielleicht daher rührte, daß wir ihm nichts zu essen gaben, weßhalb ihm diese Organe ziemlich überflüssig erscheinen konnten. Gegenüber diesem ziemlich großen Repräsentanten der gegliederten Wasserthiere sucht sich ein Einsiedlerkrebs auf seinem weichen Hinterleibe in die Höhe zu richten. Die beiden Fühlerpaare sind lang nach oben ausgestreckt, das grünliche Auge blickt in höchster Spannung zu der ätherischen Lichterscheinung empor; allein das Uebernatürliche dieser Erscheinung flößt unserem Einsiedler, der eben erst sein Muschelhaus verlassen hat, zugleich hohe Ehrfurcht ein. In Demuth zieht er die gewaltigen Scheeren an den Leib heran, senkt das gekörnte Haupt und scheint in dieser andächtigen Stellung des Befehles zu harren, der ihm von oben werden soll.

Sprach sich in der Gestalt des Scyllarus mehr ein gewisses stumpfsinniges Hinbrüten, in derjenigen des Einsiedlerkrebses dagegen andächtige Verehrung aus, so läßt sich die ganze Gluth himmelanstrebender Schwärmerei in der Stellung einer Squilla oder eines Heuschreckenkrebses erkennen, welcher mehr im Hintergrunde zwischen den beiden genannten sich in die Höhe richtet. Die eine Fangscheere ist krampfhaft an den Leib gezogen, die andere nach Oben entfaltet mit beschwörendem Ausdrucke. Jeder Muskel des gerade aufgerichteten Thieres ist stramm angezogen, und auf der letzten Spitze seiner Schwanzflosse erhebt es sich, während die Kiemenruder seines Bauches wie von Ueberraschung gelähmt erschienen.

Du siehst, lieber Rahl, daß wir in dieser Gruppe die verschiedenen Eindrücke darzustellen versuchen, welche ein so außerordentliches Ereigniß, wie eine von Frömmigkeit leuchtende Meduse, in verschieden gestalteten Organisationen hervorbringen kann. Zugleich aber auch lassen diese drei Personen einige Beziehungen nicht verkennen, welche freilich nicht auf den ersten Blick in die Augen treten, sondern erst dem Beschauer des Gemäldes durch die Beschreibung dargelegt werden müssen. Die Gruppe ist ähnlich derjenigen der drei Schweizer im Grütli, was ohne Zweifel darauf hindeutet, daß die Urheber des Bildes zu einer gewissen Zeit dem Schweizerbunde angehörten, oder demselben auch jetzt noch angehören. Zugleich aber führen uns diese drei Schweizer im Grütli die Idee des republikanischen Staatenbundes vor die Seele und erinnern uns daran, daß ohne Erleuchtung von Oben ein solcher Staatenbund nothwendig den Krebsgang gehen müsse.

Dies die Hauptgruppe, welche uns in dem Vordergrunde entgegentritt. Ueber den drei Krebsen schwebt als Symbol der Eintracht ein Venusgürtel mit lang ausgebreiteten Fangfäden und lebhaft schimmernden Schwimmplättchen, welche in allen Farben des Regenbogens schillern. In ihm ist die christliche Liebe zum vollendetsten Durchbruch gekommen.

„Seid umschlungen Millionen" tönt es aus diesem leicht hinschwebenden Thiere uns entgegen. Dem Rufe folgt eine Colonie von Salpen, deren gelbrothe Eingeweideknäuel in erhöhtem Lichte ob der freudigen Botschaft erglänzen. Nicht minder strebt auf der anderen Seite eine gurkenartig gestaltete Beroe dem Lichte zu, das ihr von Oben entgegenleuchtet.

Die Colonieen festsitzender Meerthiere, welche sich an jedem Vorsprunge des Felsens angesiedelt haben, sind ebenfalls zu freudiger Theilnahme erwacht und geben diese durch mannigfaltige Aeußerungen zu erkennen. Die Röhrenbewohnenden Wurmer haben sich weit aus ihren Hülsen hervorgestreckt, und ihre büschelartigen Fangarme nach allen Richtungen hin ausgedehnt. Die Balanen haben die Deckelklappen ihres Gehäuses geöffnet und strecken die gegliederten Rankenfüße der vorwärts schwebenden Erscheinung nach. Selbst in die dunkeln Ritzen, in welchen sich die Seeanemonen angebaut haben, ist ein Strahl des Lichtes gedrungen, und hat sie veranlaßt, ihre Fangarme zu entwickeln, und vor Erstaunen den Mund weit zu öffnen. Aus der Ferne eilt ein Papier Nautilus (Argonauta) in stürmischer Eile mit ausgespannten Segeln herbei, um dem überraschenden Ereignisse näher zu sein. Die Seescheiden, deren gallertartige Gehäuse im Vordergrunde festsitzen, scheinen in lebhafteren Farben zu erglühen, und ein großer Seeigel gibt sich alle Mühe, mittelst feiner Saugröhren und Kalkstacheln an dem felsigen Boden sich emporzuarbeiten.

Während so Alles Teilnahme, lebhaftes Entgegenkommen, ja selbst enthusiastisches Entzücken zu erkennen gibt, fehlt auch nicht das Element der Verstocktheit, welches von dem aufgehenden Lichte sich abwendet, und in demselben Augenblicke, wo alle Andern von höherer Begeisterung erfüllt sind, seinen niedrigen Begierden zu fröhnen sucht. Ein heimtückischer Tintenfisch, aus dessen ovalem Auge der Verrath hervorblickt, hat mit seinen starken Armen eine sorglos herzueilende Galathee ergriffen, und ist im Begriffe, dieselbe seinem krummen Schnabel entgegenzufahren. Verzweiflungsvoll sind die Augen des armen Krebsleins auf die himmlische Erscheinung gerichtet, bei welcher sie, wenn nicht Hülfe, doch Trost suchen. Die langen Scheeren suchen sich irgendwo, aber vergebens festzubacken, um dem Zuge des Unholds widerstehen zu können. Weiter unten bestrebt sich eine hämische Krabbe, die aus sicherem Versteck herbeilt, mit ihrer krummen Zangenscheere den Scullarus in die Weiche zu packen und zu sich herabzuziehen.

Da hast Du, lieber Rahl, in Worten die Skizze des Bildes, welches die neue Malerei regeneriren soll. Du wirst einsehen, daß die Elemente, welche wir in dieselbe einführen, so durchaus neu und unerwartet sind, daß es einiger Zeit bedürfen wird, um ihnen Anerkennung zu verschaffen. Die Leute sind bis jetzt nur gewohnt gewesen, die Thierwelt des Meeres in s. g. Stillleben zu behandeln, in unvernünftig zusammengewürfelten Haufen todter Fische und polirter Muscheln, bei denen man höchstens die Geschicklichkeit des Malers und seinen Geschmack in der Zusammenstellung der Farben bewundern konnte. Es kommt mir das gerade vor, wie wenn unsere Historienmalerei sich darauf beschränken wollte, Haufen verstümmelter Leichen und abgeworfener Kleidungsstücke so zusammenzulegen, daß ein gewisser Farbeneffect dadurch erzielt wird. Wir verlangen glücklicher Weise mehr, und wenn wir uns auch bei Genrebildchen begnügen müssen, so wollen wir doch auch in diesen ein Stückchen Leben und nicht blos todte Dinge sehen. Das Leben der Thierwelt aber ist bis jetzt nur in beschränktem Kreise aufgefaßt und meistens sogar ein menschliches Element in dasselbe hineingelegt worden, dessen wir unsere Composition vollkommen zu entkleiden versucht haben. Du kannst es darum gewissermaßen ein naturwüchsiges Bild nennen. Eben dieser Naturwüchsigkeit halber befürchte ich aber, daß unser Bestreben keine Nachfolger finden werde. Es geht uns wie allen Genie‘s, die ihrer Zeit vorauseilen. Unser Publikum kennt die Seekrebse nur wenn sie gesotten sind, und verabscheut das übrige Gethier, von welchem es im Seebade genesselt und genirt wird. So muß denn eine schöne Idee begraben werden, so lange bis eine künftige Generation fähig sein wird, sie zu begreifen und weiter auszubilden. Hätten wir auch Deinen Pinsel zur Ausführung derselben, und Deine Meisterhand in Behandlung der wunderbaren Farben, welche das Gethier des Meeres uns zurückwirft, es würde nicht hinreichen, das Interesse eines unvorbereiteten Publikums zu wecken.

Dies mag Dir einstweilen zum Troste gereichen, da es den Zeitpunkt, in welchem Euer Aller Richtung zu Grunde gehen wird, in undenkliche Zeiten hinausschiebt. Der Carneval rückt heran. Du haft in Deinem Briefe mich einigermaßen höhnisch gefragt, ob es auch mit meiner Würde vertraglich sei, solch tolles Treiben mitzumachen; — ich bin darüber mit mir selbst noch im Zweifel. Wenn ich aber bedenke, daß ich bis jetzt die amtlichen Fesseln noch nicht angethan habe, sondern noch immer als freier Proletarier der Wissenschaft in der Welt umherschweife, so will es mir scheinen, als bedürfe es kaum eines kleinen Ruckes, um Decret und Amt für ein Paar Wochen von dem Halse zu werfen, und mich der allgemeinen Luft zu erfreuen. Herwegh meint ohnedem, ich seie so fleißig gewesen, daß mi, ein wenig Erholung Noch thue, und da die Krone der Schöpfung der Mensch sei, so müßten wir auch unsere Untersuchungen in aufsteigender Linie mit dem Menschen beendigen. Durch die Lecture der römischen Elegieen halte er sich aber vollkommen überzeugt, daß Rom der passendste Ort zu diesem Studium sei, und er stimme unmaßgeblich dafür, mit dem nächsten Dämpfer der Hauptstadt der Welt zuzueilen.

So magst Du Dich denn einstweilen zu unserem Empfange vorbereiten, und Pinsel und Palette putzen lassen, denn wir hoffen Dich so in Anspruch zu nehmen, daß Dir keine Zeit zum Malen übrig bleiben soll. Deinen Modellen magst Du zwar immerhin einige Beschäftigung zusagen, denn wir haben uns vorgenommen, als Künstler in der Künstlerstadt zu leben, und der Wissenschaft für einige Zeit Lebewohl zu sagen. Die Zeit wird immerhin noch früh genug kommen, wo wir unter das Joch zurück kriechen müssen, und unsere Aufgabe wird jetzt sein, an dasjenige, was uns in weiterer Ferne erwartet, so wenig wie möglich zu denken, und zu ergreifen, was in unmittelbarer Nähe liegt.